Theodor W. Adorno, Siegfried Kracauer

Theodor W. Adorno / Siegfried Kracauer: Briefwechsel

Der Riss der Welt geht auch durch mich: 1923 - 1966
Cover: Theodor W. Adorno / Siegfried Kracauer: Briefwechsel
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
ISBN 9783518584965
Gebunden, 772 Seiten, 32,00 EUR

Klappentext

Unter den großen Briefwechseln Theodor W. Adornos ist der mit Siegfried Kracauer mit Sicherheit der intimste. Der Nachhall einer leidenschaftlichen Freundschaft, die beide von Beginn an miteinander verband - Adorno war 15 oder 16 Jahre alt, Kracauer 14 Jahre älter, als sie sich kennenlernten -, durchzieht diese Korrespondenz, die sich von 1923 bis zu Kracauers Tod 1966 erstreckt. Der Ältere war zeitlebens der verletzlichere, der Jüngere in seinem brieflichen Sturm und Drang der rücksichtslosere. Kracauer, der in der Feuilletonredaktion der Frankfurter Zeitung arbeitete, war bereits ein bekannter Kritiker und Essayist, als Adorno Mitte der zwanziger Jahre noch seinen Lebensweg suchte. Für Adorno blieb Kracauer in diesen Jahren der Vertraute, dem er seine Erfahrungen und Gedanken mitteilte, aber auch seine Pläne, die er in Wien, Berlin oder Italien schmiedete. In den folgenden Jahrzehnten, in den Zeiten des Aufstiegs des Nationalsozialismus, der Emigration und des Überlebens im Exil und des Wiederaufbaus nach 1945, ist die 269 Briefe umfassende Korrespondenz vor allem ein bewegendes Dokument, das von dem Versuch beider zeugt, eine intellektuelle Freundschaft über die Wirren und Brüche des 20. Jahrhunderts hinweg zu bewahren.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 14.01.2009

Für Ludger Lütkehaus ist die erst mit diesem Briefwechsel ganz eindeutig belegte homoerotische Liebesbeziehung zwischen dem 19-jährigen Theodor W. Adorno und dem 14 Jahre älteren Siegfried Kracauer nicht unbedingt eine "Sensation". Sie wirft aber vor allem auf Adorno ein neues, klareres Licht und lässt erst in diesem Kontext die Geschichte der von Leidenschaft, später von Konflikten und Empfindlichkeiten geprägten Freundschaft verständlich werden, betont der Rezensent. Lütkehaus zeichnet diese durch Höhen und Tiefen gehende Freundschaft nach, wobei ihm vor allem Adorno als reichlich illoyaler Freund entgegentritt, der Kracauer seine Überlegenheit immer wieder  spüren lässt. Der Briefwechsel belege aber auch in beeindruckender Klarheit, dass sich Kracauer gegen Kritik von Adorno zu wehren wusste, und hier zeigt sich der Soziologe, Filmtheoretiker und Romancier wie sein Briefpartner als "bedeutender Geist", betont der Rezensent. Am meisten erstaunt ihn an diesem Band vielleicht, dass alle Querelen und Auseinandersetzungen der Freundschaft letztlich nichts anhaben konnten, die bis zu Kracauers Tod bestehen blieb.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 27.12.2008

Fasziniert, manchmal aber auch von den sich auftuenden menschlichen Abgründen erschüttert hat Rezensent Rudolf Walther diesen Briefwechsel gelesen, der, wie er schreibt, in der Frühphase der Beziehung zwischen dem Filmkritiker und Feuilletonisten Siegfried Kracauer und dem vierzehn Jahre jüngeren Philosophen Theodor W. Adorno, durchaus auch erotische Züge hatte. ”Niederschmetternd” belegt der Briefwechsel aus seiner Sicht außerdem, wie naiv Adorno um 1930 in politischen Dingen war. Später gibt ihm immer wieder Adornos despotische Art, mit der er den älteren Kracauer kritisierte, zu denken. Auch findet er die ”ungeheure Arbeitswut” Adornos in den 50er Jahre ebenso gut in den Briefen dokumentiert wie die Entstehung des Monumentalwerks ”Negative Dialektik”. Überrascht ist er immer wieder vom Gleichmut, mit dem Kracauer trotz aller Kränkungen zur Freundschaft mit Adorno stand. Der Rezensent bemängelt, dass im Anmerkungsapparat bei aller Präzision nicht genügend Kracauers schon lange vor 1933 einsetzende systematische Ausgrenzung bei der Frankfurter Zeitung dokumentiert werde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.12.2008

Die am Anfang der Beziehung von Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer stehende heftige Verliebtheit, die in den Briefen nicht verschwiegen wird, macht diesen Briefwechsel in den Augen Michael Rutschkys so bemerkenswert, werde die Liebe zwischen heterosexuellen Männern doch gern verschwiegen. Dem über drei Jahrzehnte währenden Briefwechsel lässt sich die Wandlung der Beziehung von der anfänglichen Leidenschaft zu einer durchaus ambivalenten Freundschaft und kontroversen inhaltlichen Auseinandersetzung ablesen, bemerkt der Rezensent. Die Auseinandersetzungen der Freunde über das Kino oder die von Adorno begründete Kritische Theorie haben den Rezensenten offenbar genauso interessiert, wie er auch aufmerksam registriert, dass sich Adorno zwar für die Einreise des vierzehn Jahre älteren Freundes in die USA einsetzte, ihm aber die Aufnahme am transferierten Institut für Sozialforschung unmöglich machte. Nachdrücklich beklagt Rutschky abschließend den frühen Tod Adornos, der eine Anpassung seiner Kritischen Theorie mit den sich wandelnden Verhältnissen zu seinem Bedauern verhindert hat.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.12.2008

Mit Begeisterung für den fast zornig-existenziellen Ernst, mit dem in diesem sich über vierzig Jahre erstreckenden Briefwechsel die Debatten ausgetragen werden, legt Rezensentin Eva Geulen den Lesern dieses Buch ans Herz. Es handelt sich für die Rezensentin auch um das Dokument einer ?erstaunlichen Streitbefähigung mit unbezwingbarer Widerspruchslust?, in der Dialektik und Kritik für sie geradezu physisch wird. Neben ?Stil, Kritik, Dialektik und dem rechten Verständnis von Utopie? gehöre zu den Dauernbrennern über die Jahrzehnte die Debatte um Massenmedien und Kulturindustrie, wobei die Rezensentin immer wieder feststellen konnte, dass Dialektik tatsächlich Passion sein kann. Manches tut ihr fast körperlich weh, schreibt sie, fasziniert von der Gnadenlosigkeit, mit der die lebenslangen, aus so unterschiedlichen Verhältnissen stammenden Freunde sich in den Briefen miteinander auseinandersetzen, und ihrem Eindruck zufolge dabei vor nichts Halt machen. Auch hat sie der Briefwechsel plötzlich darauf aufmerksam gemacht, das es sich hier auch um das Dokument einer verschwindenden Kulturform handeln könnte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 24.11.2008

Für Thomas Meyer liegt mit diesem Band die Dokumentation einer der bedeutendsten Intellektuellenfreundschaften des 20. Jahrhunderts vor. Stoff für gleich mehrere Dramen vermutet Meyer in den 268 Briefen zwischen Adorno und Kracauer und schaut hinter ihre "auf den ersten Blick klare Sprache". Hinter der existentiellen Spannung der Korrespondenz entdeckt er ein "komplexes Geflecht von Anschauungen", den Versuch beider Autoren, sich ihre Biografie zu erschreiben. Die sich dem Rezensenten offenbarenden Seelenlagen zeigen einen oft sich selbst überschätzenden Adorno mit "fragwürdigen Charakterzügen" und einen in theoretischen Dingen weithin offenen Kracauer. Die Erläuterungen der Edition begrüßt der Rezensent als aufs Wesentliche beschränkt. Die Briefe zwischen Lili Kracauer und Adorno hätten für ihn allerdings mit in diese Ausgabe gehört.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.11.2008

Weder Adorno noch Kracauer erscheinen dem Oldenburger Soziologen Stefan Müller-Doohm nach der Lektüre in gänzlich neuem Licht. Daran jedoch, dass sich beide schärfer abzeichnen, weil der vorliegende Briefwechsel die menschlichen Schwächen beider offenbart, besteht für den Rezensenten kein Zweifel. Offenherzigkeit, sowohl bezüglich der emotionalen und intellektuellen Verbundenheit beider, als auch im "hyperkritischen" Schlagabtausch, erscheint Müller-Doohm als ein Charakteristikum dieser Korrespondenz. Beeindruckt hat ihn nicht nur die hier erfahrbare Spannung zwischen Liebe und Hass, sondern ebenso die in den Briefen dokumentierte "Welt des Geistigen", in der die Briefpartner ganz aufzugehen scheinen und mit deren Hilfe sie die politische und gesellschaftliche Realität, Krieg und Emigration, meistern beziehungsweise ausblenden. Wenn sich, vor allem in den Briefen aus der Nachkriegszeit, dem Rezensenten auch der Verdacht aufdrängt, der Austausch habe keinen anderen Zweck als den der Selbstdarstellung gehabt, so schmälert das den Gewinn der Lektüre in seinen Augen dennoch nicht. Mit seinem Kommentar und dem "anregenden" Bildteil erscheint ihm der Band als unverzichtbares Hilfsmittel der biografischen und werkgeschichtlichen Adorno- und Kracauerforschung.
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