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Euro-Krise "Deutsches Lohndumping sprengt die Währungsunion"

Maßvolle Tarifabschlüsse, mehr Wettbewerbsfähigkeit: Das deutsche Modell, durch jahrelange Lohnzurückhaltung die Marktposition zu verbessern, gilt als Vorbild für EU-Staaten wie Griechenland. Falsch, sagt Ökonom Heiner Flassbeck. Das deutsche Lohndumping sei schuld daran, dass die Währungsunion nun vor einer Zerreißprobe stehe.
Von Arvid Kaiser und Kai Lange

Hamburg - Von einem harten Sparkurs ist die Rede, einer schmerzhaften Rosskur. Nur durch eisernes Sparen und Lohnverzicht könne Griechenland den Staatsbankrott abwenden und seine Finanzen in den Griff bekommen. Der Weg werde steinig und schwer, führe aber zum Erfolg.

Vorbilder für den griechischen Patienten sind schnell bei der Hand. Die Iren zum Beispiel, die im vergangenen Jahr drastische Lohneinbußen hingenommen haben. Und die Deutschen, deren Reallöhne in den vergangenen zehn Jahren gesunken sind, weil sich die Tarifpartner auf maßvolle Lohnabschlüsse geeinigt haben.

Genau diesen Kurs setzen die Deutschen jetzt fort, mit einem Miniplus in der Metallindustrie, mit angekündigten Sozialreformen, einer erregten Diskussion um den Sozialstaat und mit einer Schuldenbremse, die die öffentlichen Finanzen ab 2011 in einen Schraubstock zwingt.

Diese deutsche Bescheidenheit ist für eine wachsende Zahl von EU-Staaten aber nicht die Lösung, sondern das Problem.

"Haben kein Problem mit Griechenland, sondern mit Deutschland"

"Wir haben kein Griechenlandproblem, sondern ein Deutschlandproblem", sagt Heiner Flassbeck, Chefökonom bei der UN-Organisation für Handel und Entwicklung (Unctad) in Genf. Sein Vorwurf: Durch systematisches Lohndumping grabe Deutschland den anderen EU-Staaten Marktanteile ab. Als einzige große Volkswirtschaft der Währungsunion habe die Bundesrepublik ihren globalen Marktanteil zwischen 2000 und 2010 stabilisiert, während die anderen dramatisch verloren haben.

Die Haushaltsdefizite der Südländer, so sieht es auch Nicolaus Heinen von der Deutschen Bank, "gehen auch auf das Konto geringerer Wachstumsperspektiven, die eine Folge mangelnder Wettbewerbsfähigkeit sind". Die Schuldenprobleme seien Folge eines größeren Defizits in der Leistungsbilanz.

Die Europäische Währungsunion wächst nicht zusammen, sondern driftet auseinander. Während die Lohnstückkosten der deutschen Industrie seit der Einführung des Euro um 14 Prozent gesunken sind, blieben sie in Griechenland (das zwei Jahre später in die Währungsunion startete) gleich. In Portugal stiegen sie um 5 Prozent, in Spanien um 28 und in Italien gar um 46 Prozent.

Unterschiedliche Inflationsraten verstärken diesen Effekt. Nach Heinens Analyse sank der reale effektive Wechselkurs im vergangenen Jahrzehnt nur für Deutschland und Österreich, während "insbesondere Irland, Italien, Portugal und Spanien an Preiswettbewerbsfähigkeit verloren haben".

"Deutschland verletzt seit Jahren das Inflationsziel der EZB"

Auf diese Weise torpediere Deutschland die gemeinsame Geldpolitik, argumentiert Flassbeck. "Deutschland verletzt seit vielen Jahren das Inflationsziel der EZB. Die Teuerung soll pro Jahr nahe 2 Prozent liegen - und nicht weit unter 2 Prozent." Die Griechen mit einer durchschnittlichen Steigerung der Reallöhne um 1,9 Prozent jährlich seit dem Jahr 2000 lägen sogar im Rahmen, gäbe es nicht den harten innereuropäischen Wettbewerb.

Innerhalb der Euro-Zone sei auch die "Nicht-Preis-Wettbewerbsfähigkeit" wichtig, bemerkt Heinen. Dazu zählten Faktoren wie das Gewicht der Industrie, der wissensintensiven Dienstleistungen, die Innovationskraft und wirtschaftliche Flexibilität eines Landes.

Der Effekt ist schwer messbar, doch auch hier ergibt sich das gewohnte Bild. Nach dem WEF Competitiveness Index liegt Deutschland mit Finnland und den Niederlanden in der Spitzengruppe der Euro-Länder. Abgehängt am Schluss: Griechenland, Italien, Portugal.

Das Ergebnis: Eine Geldpolitik, die gut für Deutschland ist, kann nicht gut für Spanien und Co. sein. Deshalb verlaufen auch im EZB-Rat die Fronten zwischen "Falken" und "Tauben" entlang nationaler Grenzen: Die Deutschen drängen auf hartes Geld und eine schnelle Rückkehr zu höheren Zinsen, doch das wäre Gift für die Konjunktur in Südeuropa.

Spart Deutschland die EU-Nachbarn kaputt?

Dieser Streit setzt Fliehkräfte in Gang. "Deutschland unterminiert durch Lohndumping das Inflationsziel der Währungsunion und steht nun als der absolute Gewinner da", wettert Unctad-Chefökonom Flassbeck. Wer wie Deutschland die Löhne so tief wie möglich halten wolle, dürfe nicht einer Währungsunion beitreten, die sich auf ein Inflationsziel von rund 2 Prozent geeinigt habe.

Oder man müsse sich eben mit allen anderen Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Lohnpolitik einigen. Anders gesagt: Ohne eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik droht der Währungsunion die Zerreißprobe.

Das Argument, dass die Tarifparteien in Deutschland durch maßvolle Lohnpolitik Arbeitsplätze erhalten, lässt Flassbeck nicht gelten: Deutschland sichere sich durch stagnierende Löhne zwar einen stolzen Überschuss in der Leistungsbilanz und zeitweise auch den Titel eines Exportweltmeisters. Doch der Preis dafür sei eine chronisch schwache Binnennachfrage, die den Arbeitsmarkt bremse.

Auch die EU-Kommission hat die Bundesregierung bereits mehrfach ermahnt, künftig mehr für die Ankurbelung des Binnenkonsums zu tun.

5 Prozent mehr Lohn pro Jahr für die Deutschen - bis 2025

Die Deutschen müssten den Gürtel weiter schnallen und sich Jahr um Jahr deutlich höhere Löhne gönnen, um dem Euro und den anderen Mitgliedsstaaten eine Chance zu geben, fordert Flassbeck. 5 Prozent mehr Lohn jährlich bis 2025, so seine Kalkulation, würden bei einer jährlichen Teuerung von 2 Prozent gerade reichen, damit andere Länder die Lücke schließen könnten - und bis zu diesem Zeitpunkt würde Deutschland immer noch Marktanteile hinzugewinnen.

Mit der Forderung, den Jahren deutscher Bescheidenheit eine fünfzehn Jahre lange Phase deutscher Hochlohnpolitik folgen zu lassen, steht Flassbeck noch alleine da. "Ein Weg zu einer ausgeglicheneren Leistungsbilanz ist ein höherer Konsum", räumt zwar auch Deutsche-Bank-Ökonom Heinen ein. Aus seiner Sicht sollten dafür aber nicht unbedingt die Löhne steigen.

"Ein anderer Weg wäre eine Steuerstrukturreform, die den Bürgern wieder mehr Geld in die Hand gibt", sagt Heinen. Grundsätzlich müsse der Prozess, "den Abstand zwischen den Volkswirtschaften wieder zu verkleinern, auf einem Aufholen der Nachzügler basieren". Die schwachen Länder müssten also ihre Löhne und Preise drastisch senken und zugleich Strukturreformen anstoßen, um langfristig mithalten zu können. Die Europäische Kommission müsse diesen Prozess überwachen und Nachlässigkeit bestrafen.

Globaler Wettbewerb: "Höhere Löhne zahlen sich nicht aus"

Das bedeute einige Jahre Deflation in Euro-Ländern wie Spanien, Irland oder Griechenland. Die griechischen Löhne beispielsweise müssten um 25 Prozent sinken - allein, um wieder die Ausgangsposition zum Euro-Beitritt zu erreichen. "Die Anpassung ist zu schaffen", beharrt Heinen.

Auch Stefan Schilbe, Chefvolkswirt von HSBC Trinkaus, sieht den Ausweg nur in einem rigiden Sparkurs der Defizitländer. "Wir werden die Probleme innerhalb der Eurozone nicht über eine fehlerhafte, freigiebige Lohnpolitik in Deutschland lösen", sagt Schilbe.

Deutschland und die EU seien nicht durch Zollmauern vom Weltmarkt abgeschottet, sondern stünden im globalen Wettbewerb: "Lohnsteigerungen würden sich nicht auszahlen, weil Arbeitsplätze dann noch rascher nach Asien verlagert werden. Und dann bricht der Konsum hierzulande erst richtig weg."

Bereits jetzt seien zahlreiche Schlüsselbranchen in Deutschland durch rasante Fortschritte günstiger Konkurrenten aus Fernost bedroht. "Die einzige Chance, wettbewerbsfähig zu bleiben und damit Jobs im Land zu halten, sind technologischer Vorsprung und Lohnstückkosten, die im globalen Wettbewerb bestehen", sagt Schilbe.

Zu dieser Wettbewerbsfähigkeit und höherer Produktivität müssten auch Länder wie Spanien oder Griechenland zurückfinden, die jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt hätten. "Wir helfen Griechenland und Spanien nicht mit höheren Löhnen in Deutschland", so der Ökonom von HSBC.

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